10. Dezember 2021„Mehr Bäume als Menschen“
In Bebra, eine Kleinstadt im Nordosten Hessens, hatten wir am 10. Dezember in Kooperation mit dem neu gegründeten Verein für Kultur, Begegnung/en und internationale Verständigung (KuBiV e. V.) und dem Rehasportverein Bebra e. V. zu zwei Gesprächsrunden für ältere Bürgerinnen und Bürger mit Menschen, die nach Deutschland geflüchtet sind, eingeladen. Im Gemeindesaal der Evangelischen Kirche berichteten am Vormittag Rami Monakesh aus Syrien und Hoseini Amir aus Afghanistan über ihre Erlebnisse auf der Flucht, aber auch ihre Erfahrungen in Deutschland. Herr Monakesh erzählte, wie er und seine Familie vor einigen Jahren auf dem Frankfurter Flughafen ankam. Es sei schwierig, in Bebra und Umgebung einen Job zu finden oder gar den Beruf auszuüben, den man erlernt habe. Für einen Sicherheitsdienst zu arbeiten, sei nicht sein Wunsch, lieber würde er wieder als Bauingenieur aktiv sein. Herr Amir erzählte von großen Familienfeiern in seiner Heimat, wo jetzt wieder die Taliban herrschen. Derzeit nimmt er an einem Sprachkurs teil. „Meine Ehefrau würde auch gerne die deutsche Sprache lernen. Doch da es nicht genügend Kita-Plätze gibt, kümmert sie sich um unsere Kinder“, sagt er. Eine Seniorin erklärte abschließend: „Es war sehr interessant, die Probleme der Mitbürger kennenzulernen. Hilfe ist auf jeden Fall angebracht.“
Am Abend zu Gast im Fitnesspark Bebra berichtete Abdul Rehman Rafiq den Teilnehmenden über seine Erlebnisse als Minderjähriger auf der Flucht aus Pakistan. Aus familiären Gründen und mit Unterstützung seiner Mutter sei er 2013 geflohen, so Herr Rafiq. Er erinnerte sich noch gut an einem älteren Herrn, der ihn in der Türkei nach dem Weg fragte, jedoch schnell bemerkte, dass der Jugendliche und sein junger Freund selbst Hilfe benötigten. Der ältere Herr gab ihnen ein Dach über dem Kopf, eine warme Mahlzeit und die Möglichkeit, sich und ihre Kleidung zu waschen. Danach fuhren sie, versteckt in einem Lkw mit anderen Geflüchteten, nach Italien. Umgeben von Kiessäcken sei es sehr kalt gewesen. Von Italien aus führte der Weg nach Frankreich. Die wenigen Ersparnisse reichten aus, um nach Paris zu reisen. Nach einem Telefonat mit der Mutter sei die Entscheidung gefallen, nach Barcelona zu fahren, wo die Chancen besser standen, eine dauerhafte Unterkunft zu finden. „In Barcelona war die schönste Zeit“, erzählt Herr Rafiq mit einem Lächeln. Mit dem Ziel Norwegen sei er schließlich über Gießen in Bebra angekommen. Zunächst habe es ihm hier nicht gefallen – „mehr Bäume als Menschen“, sagt er. Hier hatte er jedoch die Möglichkeit, die deutsche Sprache zu lernen, zur Schule zu gehen und eine Ausbildung zu machen. Heute arbeitet er als Sport- und Fitnesskaufmann sowie Fitnesstrainer im Fitnesspark Bebra und unterstützt seine Familie in Pakistan. Vor ein paar Jahren habe er sich bewusst entschieden, positiv zu denken, in der Gegenwart zu leben. Auf das Glück dürfe man nicht warten, so Herr Rafiq. Er möchte auch anderen Geflüchteten in Bebra helfen: „Das mache ich sehr gern, denn ohne die Hilfe von anderen hätte ich diesen weiten Weg nicht geschafft. Jetzt helfe ich, wo ich kann.“