28. Oktober 2020Eine Fortsetzung ist schon geplant
Damit Mindestabstände sicher eingehalten werden können, wurde die Begegnungsveranstaltung am 27. Oktober 2020 in der Evangelischen Kirchengemeinde Bornstedt vom Gemeindehaus in die altehrwürdige Bornstedter Kirche verlegt. Trotzdem war die Stimmung fast familiär. Zu Gast beim Seniorennachmittag der Gemeinde waren Heike Roth und Foziya Abdallah, eine junge Frau aus Syrien, die den meisten der Anwesenden zumindest vom Sehen bekannt war und die man liebevoll duzte. Ruhig und ohne etwas auszulassen erzählte Foziya ihre Lebensgeschichte: „Ich kann über alles sprechen“, das hatte sie eingangs gesagt. So erinnerte sie sich an ihre schöne Kindheit mit den vielen Geschwistern in einem Dorf an der Grenze zur Türkei, im Kurdengebiet. Die heile Welt der kleinen Foziya bekam allerdings bald Risse: So durfte nur in der Familie Kurdisch gesprochen werden und auch aufgrund ihres Glaubens erfuhr die Familie Diskriminierung, ihre Familie gehörte zur Religionsgemeinschaft der Jesiden.
Die Eltern trennten sich, der Krieg in Syrien begann, auf ihre Heimat fielen Bomben. Für eine Ausbildung oder ein Studium war nach dem Abitur kein Geld da, so gerne hätte sie einen Beruf erlernt, in dem sie mit Kindern arbeiten kann. Ihre Familie habe für sie keinen anderen Weg gesehen, als zu heiraten, so Foziya. Allerdings lebte ihr Bräutigam im fernen Dänemark, Foziya musste Land und Familie verlassen. „Kanntet Ihr Euch denn?“, so die Frage einer Teilnehmerin. „Nein, ich habe ihn vorher nie gesehen.“ „Wie alt war Dein Mann?“, so die nächste Frage. „42!“ Foziya musste beinahe lachen, so absurd klang das jetzt auch für sie, „mehr als doppelt so alt wie ich.“ Sie habe das Zusammenleben nicht lange ausgehalten und sich nach zwei Wochen an die dänische Polizei gewandt, die sie in Sicherheit brachte. Die Teilnehmenden der Gesprächsrunde mussten an dieser Stelle erst einmal tief durchatmen.
Eine Schwester lebte in der Schweiz, dorthin wollte sie nun, bei ihr zu sein, das wäre nach den schrecklichen Erlebnissen in Dänemark schön gewesen. In der Schweiz wurde Fouzia aber in einem sogenannten Bundesasylzentrum untergebracht, im „Zentrum“, wie sie es nennt. Das lag in einem ganz anderen Kanton als dem, in dem ihre Schwester wohnte, die Reisen zu ihr waren teuer. Im „Zentrum“ gab es keine Verdienstmöglichkeiten, auch ein Sprachkurs wurde Foziya nicht gewährt. Die Schweizer Ämter wollten sie vielmehr nach Dänemark ausweisen. Zweieinhalb Jahre hielt sie im „Zentrum“ aus, dann kam die Liebe ins Spiel, und ihre große Liebe, die sie seit ihrer Kindheit kannte, lebte ausgerechnet in Deutschland, in Potsdam. „Ich weiß, ich hätte das nicht tun dürfen, aber ich habe mich einfach in den Zug gesetzt und bin nach Deutschland gefahren“, erzählte sie fast schuldbewusst. Als die deutschen Behörden von ihrem Aufenthalt Wind bekamen, setzten sie alles daran, sie wieder zurück in die Schweiz zu schicken. Foziya und ihr Freund bekamen noch rechtzeitig einen Tipp zum sogenannten Kirchenasyl: „Die Kirche war meine letzte Hoffnung, wirklich.“ So fand sie schließlich ein paar Monate Unterschlupf in einem freien Zimmer im Gemeindehaus der Potsdamer Kirchengemeinde, bis sie ganz legal zu ihrem Freund ziehen durfte. Und deshalb war sie vielen in der Runde gar kein unbekanntes Gesicht. Nur von ihrem Leben habe man kaum etwas gewusst. „So eine junge Frau. Und so eine Lebensgeschichte, es ist kaum zu glauben, dass sie nie aufgegeben hat. Und dass sie trotzdem so fröhlich ist“, so sprach eine Teilnehmerin aus, was wohl alle in der Runde dachten.
Endlich kommt Foziya auch ihrem Jugendtraum näher, denn wenige Tagen nach der Veranstaltung soll ein Praktikum in der Kita beginnen. Eine Ausbildung möchte sie dort machen. Und erst, wenn sie diese abgeschlossen hat, möchte sie über eigene Kinder nachdenken. Das fanden die Damen und Herren vom Seniorennachmittag sehr vernünftig. „Können wir das Treffen wiederholen?“, fragten sie zum Schluss. „Wir möchten gerne wissen, wie es Foziya ergangen ist. Und vielleicht können wir auch mal einen jungen Mann einladen, seine Geschichte zu erzählen?“