3. September 2021Ein schönes, ein bekanntes, ein demokratisches Land
Nicht in so einer langweiligen Ordnung sollten die Tische stehen, so entschied es der ehrenamtliche Helfer beim Freitagsfrühstück in Mehrgenerationenhaus AWOthek in der Nürnberger Südstadt mit großer Bestimmtheit. Am Ende reichten die Sitzplätze kaum für die vielen Gäste, die es sich die dann in ausgesprochen freundschaftlicher Atmosphäre – die meisten waren per du – schmecken ließen. Erstmal keinen Appetit hatten die zwei Gäste, die heute mit dazu gekommen waren: Khalil, der siebzehnjährige Schüler, und Ahmad, ein schlanker, ernster junger Mann. Etwas aufgeregt waren sie, denn sie hatten sich bereiterklärt, von ihrer Flucht aus Syrien zu erzählen, vom Ankommen in Deutschland und von ihren Wünschen für die Zukunft. Khalil wurde ziemlich jäh aus seinem Alltag als Schulkind gerissen, als er mit seinen Eltern in die Türkei ging. Nur ein paar Jahre konnte er in Syrien die Schule besuchen, in der Türkei war nach einem Schuljahr auch schon wieder Schluss. Dann musste er seinen Eltern helfen, die sich mit Schneidern über Wasser hielten. Eine Hilfsorganisation brachte die Familie schließlich nach Deutschland. Hier ging Khalil in eine Berufsschule, er lernte und holte alles nach, will jetzt auf die Realschule wechseln, später noch das Abitur machen und studieren. Einen konkreten Berufswunsch habe er aber noch nicht. Nach zwei Jahren in Deutschland spricht er schon ausgezeichnet Deutsch. Wohl deshalb muss er viele Dinge für seine Eltern und Geschwister regeln, so berichtete Julia Schandri, die nicht nur das Freitagsfrühstück koordiniert, sondern in der AWOthek auch Geflüchtete berät. Immer wieder habe er nach Nachhilfeunterricht für seine Geschwister gefragt, den sie dann auch bekommen hätten.
„Großen Respekt“ habe sie davor, wie fleißig er sei und wie er seine ganze Familie unterstütze, so drückt eine Teilnehmerin des Freitagsfrühstücks es aus, so reif wäre sie mit 17 Jahren noch nicht gewesen. Ein anderer Gast wollte wissen, was Khalil zu Deutschland einfiele. Was sei „Deutschland in drei Worten“ für ihn: „Schön“ sei das Land, und „bekannt“, das fiel Khalil sofort ein. Über einen dritten Begriff musste er nachdenken.
„Demokratisch“, sprang Ahmad ihm bei. Er erzählte die Geschichte seiner Flucht, die eigentlich schon fünf Jahre vor dem Verlassen seiner Heimat Syrien begonnen hatte, denn seit dem Ausbruch des Bürgerkrieges musste sich die ganze Familie verstecken. Er brach schließlich auf, ohne seine Familie, mit ungewissem Ziel, über den Libanon in die Türkei, mit dem Boot nach Griechenland und weiter über die Balkanroute. 21 Tage sei er zu Fuß unterwegs gewesen, meist in der Nacht, manchmal verfolgt von der Polizei, immer hungrig und durchgefroren. Sogar ins Gefängnis hatte man ihn gesteckt, in Ungarn. Dann fiel der Entschluss, dass es nach Deutschland gehen sollte. So erschöpft sei er gewesen, dass er nach der Ankunft in Nürnberg erst einmal ins Krankenhaus musste. Und jetzt müsse er beim Erzählen eine Pause machen, es koste ihn viel Kraft, sich zu erinnern. Wie viele Kilometer es gewesen seien, fragte eine Zuhörerin schließlich. „Ich weiß es nicht, ich will es nicht wissen. Meine Füße wissen es“, so drückte Ahmad das aus. Auf die Frage, wie sein Alltag in Nürnberg aussehe, berichtete er, dass er im Moment Hausmann sei, seine Frau, die mit den Kindern auch nach Deutschland kommen durfte, mache jetzt eine Ausbildung. Besonders die Zuhörerinnen zeigten sich sehr erfreut, dass er seine Frau so unterstütze, normal sei das ja noch längst nicht, auch nicht in Deutschland. Sie bestärkten ihn dabei ausdrücklich. Nur zu Hause sein, das sei aber auch nichts für ihn, er habe viel bekommen und möchte auch etwas zurückgeben, nun mache er zusätzlich eine Ausbildung zum ehrenamtlichen Seelsorger.
Das Gespräch zwischen den beiden Geflüchteten und den Alteingesessenen ging noch lebhaft weiter, als sich die große Runde schon auflöste. „Wir haben auch alle unser Päcklein zur tragen, aber das lässt sich doch überhaupt nicht vergleichen mit dem, was die beiden und so viele andere erlebt haben“, sagte nachdenklich eine Teilnehmerin. „Wir sollten ihnen besser zuhören.“
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