10. September 2021Alle kamen zu Wort
Als erste Präsenzveranstaltung nach langer Corona-Auszeit fand im Begegnungszentrum AWiSta Fredenberg eine Gesprächsrunde besonderer Art statt. Vorbereitet hatten sie Gülcan Dia, Mitarbeiterin des AWiSTA, und unsere Referentin Heike Roth. Unter dem Motto „Mein, dein, unser Deutschland“ brachten sie Geflüchtete mit älteren Bürgerinnen und Bürgern zusammen. Um das Thema „Flucht“ ging es, ein Thema, das, so zeigte der Nachmittag, die Menschen in Salzgitter stärker verbindet als es auf den ersten Blick scheint. Das syrische Ehepaar A. berichtete davon, wie es sich auf den Weg nach Deutschland gemacht hatte, von bangen Wochen der Trennung als Frau A. schon in die Türkei gelangt war, während ihr Mann noch auf syrischer Seite verhaftet wurde und ins Gefängnis kam, von dem langen Weg, der zu Fuß, mit dem Boot und mit dem Zug zurückgelegt wurde, vom brutalen Vorgehen der Polizisten unterwegs. Doch das Ziel Deutschland stand klar vor Augen, in Salzgitter waren schon Verwandte angekommen.
Die Seniorinnen vom AWiSTA, die auch zu der Gesprächsrunde gekommen waren, fühlten sich an ihre eigenen Erlebnisse in der Kindheit erinnert, Frau F. erzählte von der eigenen Flucht aus Gleiwitz, mit dem Pferdewagen und im Viehwaggon, von der Angst, dass die Familie auseinandergerissen wird und von allem, was die Frauen erdulden und die Kinder mit ansehen mussten, die Männer waren ja noch in Gefangenschaft. Schmerzhafte und aufwühlende Erinnerungen für Frau F. Am neuen Ort heimisch zu werden, das sei auch schwergefallen, die Flüchtlinge aus dem Osten hätte man als fremd und anders beschimpft.
Dass die Chemie manchmal nachhilft, wenn es um das Zusammenleben geht, konnten Frau V. und Frau D. berichten. Frau V., die älteste Teilnehmerin in der Runde, verliebte sich nach Kriegsende ausgerechnet in einen deutschen Kriegsgefangenen und gründete mit ihm in ihrer britischen Heimat eine Familie, später gingen sie zusammen nach Deutschland. Frau D. erzählte lachend, dass sie ihre Familie erst nach der Hochzeit mit ihrem libanesischen Mann eingeweiht hätten, undenkbar sei das für ihre Eltern gewesen. 27 Jahre hält die Ehe mittlerweile. Das Ankommen in Deutschland sei ihr schwergefallen, berichtete Frau V., vor allem wegen der Sprache. Es sei so schön gewesen, eine englischsprachige Freundin zu finden. Auch Frau C. aus dem Team des AWiSTA ist mittlerweile eine Vertraute geworden. Ursprünglich aus der Türkei nach Salzgitter gekommen, sprach sie vor zehn Jahren noch kaum Deutsch, mittlerweile habe sie keine Probleme mehr, mit anderen in Kontakt zu kommen. „Dafür braucht es Selbstbewusstsein“, das hätte sie am Anfang nicht gehabt. Von den Schwierigkeiten, Deutsch zu lernen, berichtete ein weiterer Gast der Runde, Herr. A., er sprach Arabisch und es wurde zeitweise hitzig. Jetzt musste übersetzt werden. Arbeiten müsse er und Deutsch zu lernen, das fiele ihm so schwer. Große Übereinstimmung herrschte in der Runde darüber, dass es aber wichtig sei, hier in Deutschland die deutsche Sprache zu lernen, um besser am Alltag teilhaben zu können. Zum Beispiel die Elternabende seiner Kinder zu besuchen. Dabei müsse niemand perfekt Deutsch sprechen, wichtig sei, dass man das Bemühen dahinter erkennt. Birgit Hynek, die Leiterin des AWisTA, wies auf die verschiedenen Angebote zum Deutschlernen hin, und Herr A. wurde nicht entlassen, ohne vorher in die Männergruppe eingeladen zu werden, in der man offen miteinander reden und sein Deutsch üben könne.
Frau H. gab zu bedenken, dass es doch zunächst mal ganz menschlich sei, dass man erst einmal beim Vertrauten bleiben wolle und skeptisch dem Neuen und Fremden gegenüber sei. Man müsse sich das immer wieder sagen, dass es sich lohne, aufeinander zuzugehen und sich vornehmen, den anderen zuzuhören. So wie in der Runde heute, in der wirklich alle zu Wort kamen und sich auf Augenhöhe begegnen konnten.