13. September 2021Gestovter Kohl
Im Gemeinschaftshaus der Tausendfüßler Stiftung in der Schützenstraße gab es am 13. September eine ungewöhnliche Begegnung. An sich treffen sich nachmittags die Seniorinnen und Senioren aus der Nachbarschaft zum Kaffee. Diesmal bekamen sie Verstärkung von den Damen und Herren des Kaltenkirchener Seniorenbeirats und von einer fröhlichen Runde jüngerer Kaltenkirchener, die sich untereinander auf Arabisch begrüßten. In Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft e. V. aus Berlin fand unter dem Motto „Mein, dein, unser Deutschland“ eine Gesprächsrunde zwischen Einheimischen und Geflüchteten statt. Moderiert wurde sie von Heike Roth, Referentin bei der Deutschen Gesellschaft. Die Flucht aus ihren Heimatländern Syrien und Irak liegt nun für alle Geflüchteten schon Jahre zurück. Nach Kaltenkirchen führte sie der Zufall, keiner hatte vorher etwas davon gehört. An das erste Quartier, die „Tennishalle“ können sich alle gut in der Runde erinnern, auch die alteingesessenen Kaltenkirchener hatten natürlich davon mitbekommen. Liane Lirutti vom Seniorenbeirat konnte berichten, dass sich Kaltenkirchen damals bewusst für die Aufnahme von Geflüchteten entschieden habe, „wir wussten, dass wir die Arbeitskräfte in unseren Betrieben gut gebrauchen können und dass alle Arbeit finden würden.“
Beruflich konnten inzwischen auch die vier Gäste mit Fluchthintergrund Fuß fassen. Yasameen K., die in Hamburg eine Ausbildung zur Erzieherin macht, erzählte, wie froh sie sei, diesen Weg eingeschlagen zu haben: „In meiner Heimatstadt Bagdad hatte ich Geographie studiert, das war eigentlich gar nicht das, was ich wirklich machen wollte.“ Hier in Deutschland hatte sie die Möglichkeit, verschiedene Praktika zu machen, nun äußerte sie sich begeistert von ihrem zukünftigen Beruf: „In meiner Einrichtung sind viele arabischsprachige Kinder, ich merke, dass ich gebraucht werde, auch, um mit den Eltern zur reden.“ Karrar A. zeigte sich ebenfalls ziemlich zufrieden mit dem Erreichten. Zwar habe er eine Ausbildung im IT-Bereich abgeschlossen, dann habe ihn Corona aber zu Amazon geführt, wo er nun bereits Teamleiter sei. „Es macht Spaß, die Leute anzuleiten“, sagte er und machte dabei ein verschmitztes Gesicht. Osama H. und Mohammad A. erinnerten sich daran, wie schwer es ihnen am Anfang gefallen sei, Deutsch zu lernen. „Krankenversicherungskarte“ zum Beispiel, das sei ein ziemlich kompliziertes Wort. Beide arbeiten inzwischen als Schulsozialarbeiter. Eine Seniorin machte ihrer Empörung Luft: „Ich bin ja selbst nicht so aktiv gewesen, als die Flüchtlinge kamen, aber ich finde es total falsch, dass man immer sagt, die Flüchtlinge bekommen zu viel Geld.“
Die Tennishalle haben natürlich alle längst hinter sich gelassen und wohnen in eigenen Wohnungen, aber es habe lange gedauert, bis es soweit war. Was sie als Heimat bezeichnen würden, wurden sie gefragt. Mohammad A. erwiderte nachdenklich: „Heimat, das ist kein bestimmter Ort, das ist da, wo ich gut leben kann. Ich bin seit sechs Jahren in Kaltenkirchen, inzwischen haben wir zwei Kinder, beide gehen in die Kita. Wir wohnen hier, haben Arbeit. Hier bin ich sicher, hier ist jetzt meine Heimat.“ Ein Thema, das beide Seiten bewegte, war die Frage, wie man besser zueinander finden könne. Die Geflüchteten auf der einen Seite und die Deutschen auf der anderen. Im Alltag ginge man sich doch oft aus dem Weg. Osama H. erzählte dazu eine kleine Geschichte: „Als ich neu eingezogen bin, hat eine Nachbarin bei mir geklingelt und mich zum Essen eingeladen. Wissen Sie, was es gab? Gestovten Kohl. Und ich habe sie auch eingeladen zu einem arabischen Essen.“ Das Gesprächsthema traf den Nerv, denn zum Thema Essen, Kochen und landestypische Gerichte wollten alle ihren Gesprächsbeitrag leisten: Gestovter Kohl mit oder ohne Sahne, mit Kartoffeln als Beilage oder ohne. Eine Kindheitserinnerung sei das für sie, die Großmutter habe das auf dem heimischen Bauernhof für alle sieben Geschwister gekocht, so eine ältere Dame. Was er denn angeboten habe, wollte eine andere wissen: „Ein Geheimnis, Sie müssen schon zu mir kommen, dann erfahren Sie es!“ Was Osama H. damit sagen wollte: Über Begegnungen, über das Gespräch käme man sich näher, aktiv solle man aufeinander zugehen. Heike Roth aus Berlin sah hier Potenzial für ein neues Veranstaltungsformat: Gemeinsam essen, Rezepte austauschen und über den eigenen Tellerrand hinausschauen. Jeannine Strozynski, die Leiterin des Gemeinschaftshauses, griff die Idee gleich auf und versprach: „Das machen wir dann an unserem neuen Standort Am Markt, da sind wir mittendrin!“ Aber erst müsse natürlich die Coronapandemie vorbei sein.