23. Juni 2021Angekommen
Perfekt vorbereitet war die Begegnungsveranstaltung im Mehrgenerationenhaus Bürgerzentrum Treffpunkt Stadtmühle in Lahr (Schwarzwald) am 22. Juni 2021. Dafür hatten die Integrationsbeauftragte Charlotte Wolff (Stadt Lahr) und der Leiter des Hauses Edwin Fischer gemeinsam gesorgt. Ein großer Stuhlkreis erwartete die Teilnehmenden, so dass fast zwanzig Personen Platz fanden. Erst musste die notwendige Bürokratie erledigt werden, die Corona-Regelungen wurden erklärt: Abstand, Maskenpflicht. Schnell fühlten sich alle wohl in dem gastlichen Haus, man kennt sich und die Neugier auf die Gesprächsrunde übertraf schnell das erste Unbehagen. Neu in der Runde war Tahereh Hosseini, 17 Jahre jung, mit ihrer Familie aus dem Iran nach Deutschland geflüchtet. Sie hat afghanische Wurzeln, im Iran lebten sie als Flüchtlinge. In der Hoffnung auf ein besseres Leben brach die Familie nach Deutschland auf, über die Balkanroute kam sie 2015 nach Deutschland. Gerade hat Tahereh die 10. Klasse geschafft, nach den Ferien geht es auf das Gymnasium. Taherehs Ziel: Zahnärztin werden. Was sie hier vermisse? Die Antwort kommt schnell: „Nichts — doch, natürlich, die Großeltern.“
Auch Kufan Kamal Sleiman, ein weiteres unbekanntes Gesicht in der Runde, hat gerade einen Abschluss in der Tasche, er ist frischgebackener Kaufmann im Einzelhandel. Er berichtete, dass seine Familie als Angehörige der Minderheit der Jesiden besonders gefährdet war, er als ältester Sohn war der erste, der sich in Richtung Europa aufmachte. Nach Deutschland wollte er unbedingt, die Flucht ist für ihn im Rückblick ein großes Abenteuer. „Wenn du etwas willst, dann schaffst du das.“ In Deutschland ist er angekommen. Gefragt, welche Enttäuschungen er hinnehmen musste, antwortet er: Dass es mit dem Studium nicht geklappt hat, das hätte er sich anders vorgestellt. Dennoch: Nach der Ankunft stand er wirtschaftlich schnell auf eigenen Beinen, er wollte mit seiner Familie zusammen sein, die ihm nachfolgte. „Ich habe immer Vollzeit gearbeitet, deshalb konnte ich keinen Deutschkurs besuchen.“ Das findet er immer noch schade. Trotzdem hat ermittlerweile die B1-Prüfung geschafft. Nun will er Tankstellenpächter werden.
Gemeinsam mit den Seniorinnen und Senioren, die teilweise schon lange Kontakt zu Geflüchteten sowie Migrantinnen und Migranten in Lahr haben, diskutierte die Runde die Frage nach der Bedeutung von Religion, da gingen die Meinungen teilweise auseinander. Eine Teilnehmerin hatte beobachtet, dass alle Religionen, wenn sie konservativ ausgelegt werden, dazu führten, dass die Menschen sich voneinander abwenden würden, letztlich bräuchte man die Religion gar nicht. Eine andere Dame widersprach. Es sei ihr doch egal, wie die eigene Religion privat gelebt würde, wichtig sei, dass man sich im Alltag respektiere und aufeinander zugehe. Tahereh berichtete, dass auch sie neugierig auf andere Religionen sei, in einer Kirche war sie auch schon, ein schönes Erlebnis sei das gewesen. Frauen und Kinder müssten ihre Rechte wahrnehmen können, da waren sich alle in der Runde einig. Kufan Kamal Sleiman äußerte ein paar Zweifel: „In meiner Familie sind die Frauen gleichberechtigt, aber ich kenne meine Kultur, das dauert hundert Jahre, bis alle soweit sind.“ Eine Teilnehmerin reagierte nachdenklich und humorvoll zugleich: „Auch unsere Großmütter vom Dorf hatten noch ein ganz anderes Leben, wir haben erkämpft, was wir heute haben, wir unterstützen eure Frauen, auch wenn es noch einmal ein Jahrhundert dauert!“ Und wie man denn die Neuzugewanderten für die Demokratie begeistern kann, auch das wollten die Alteingesessenen wissen. Sie seien sich sicher, ein friedliches Zusammenleben könne es nur in einer demokratischen Gesellschaft geben. Tahereh und Kufan Kamal Sleiman gestalten dieses Zusammenleben bereits aktiv mit, sie engagieren sich als ehrenamtliche Sprachmittler und helfen bei den ersten Schritten in Deutschland, „wir wissen doch, wie es ist, hier anzukommen.“